Quelle: Wiesbadener Kurier 25.11.2019
Von Thorsten Stötzer
Bericht Wiesbadener Kurier

SPD-Ortsverein Geisenheim-Johannisberg wird 100 Jahre alt
Vor 100 Jahren erzielte die SPD in Johannisberg 42 Prozent bei Wahlen. Davon ist man heute weit entfernt, wie beim Festakt zum 100-jährigen Bestehen des SPD-Ortsvereins festgestellt werden musste.
GEISENHEIM – Von vergoldetem Lorbeer umkränzt prangt die Zahl 100 am Rednerpult. Der SPD-Ortsverein Geisenheim-Johannisberg feiert ein rundes Jubiläum, ohne dass die Sozialdemokraten genau wissen, wann er gegründet wurde. Wenngleich ein Sitzungsprotokoll fehlt, ist die 100 jedenfalls nicht zu hoch gegriffen. „Es könnte auch schon der 101. Geburtstag sein“, meint der Historiker Walter Hell.
Manche Mitgliederlisten wurden in der Zeit der Nazi-Herrschaft vorsorglich vernichtet, um die Genannten zu schützen, erklärt Hell in der Feier in der Halle für Viele in Marienthal. Dass dies bitter nötig war, verdeutlicht das Schicksal Peter Springs: Der Geisenheimer kam im KZ Dachau um. Überliefert ist jedoch, dass Martin Scholl die „unbestrittene Zentralfigur“ in den frühen Jahren der Geisenheimer SPD war.
Ernestine Spitz erste weibliche Stadtverordnete.
Aus der Rätebewegung, die aber nicht aus „Radikalinskis“ bestanden habe, entwickelte sich nach Hells Worten auch vor Ort der SPD-Ortsverein. Die wieder aktuelle Wohnungsnot und die inzwischen überwundene Lebensmittelknappheit prägten die Agenda nach dem Ersten Weltkrieg. Wichtige örtliche Sozialdemokraten hießen Wilhelm Klunk, Franz Thiele, Wendelin Christ, Josef Knauf, Johann Kreis oder Georg Geiger, nach dessen Sohn Gustav Geiger der Platz am Geisenheimer Bahnhof benannt ist.
In der Arbeiter- und Industriestadt waren die Voraussetzungen nicht schlecht für die Sozialdemokratie, im November 1918 wehte gar eine rote Fahne auf Schloss Johannisberg. Einige Wochen später erreichte die SPD bei den Wahlen zur Nationalversammlung in Geisenheim knapp 40 Prozent und in Johannisberg sogar 42 Prozent. „Das sind heute natürlich Traumergebnisse“, räumt Walter Hell vergleichend ein. Dazu stellte die Partei in Person von Ernestine Spitz die erste weibliche Stadtverordnete.
Mit einer Gedenkminute für den kürzlich verstorbenen Knut Schneider eröffnet der heutige Ortsvereinsvorsitzende Ulrich Berghof das Programm. In den Grußworten wird betont, dass an diesem Abend parteiübergreifend Besucher gekommen sind. Zudem wird der Wert der Parteien in einer Demokratie hervorgehoben. Ohne sie sei „politisches Gestalten in Kommune wie Geisenheim undenkbar“, sagt Frank Kilian.
Bedeutung der Parteien wird immer wieder betont
Außer dem Landrat sprechen der gleichfalls parteilose Geisenheimer Bürgermeister Christian Aßmann sowie Marienthals Ortsvorsteher Klaus Seifert (SPD) und der Unterbezirksvorsitzende und SPD-Landtagsabgeordnete Marius Weiß. „Es gibt eine Menge vorzuweisen“, findet der Parlamentarier aus Idstein und ermutigt seine Zuhörer dazu, über solche Leistungen zu reden, in der Öffentlichkeit wie untereinander.
Als Festredner tritt Bijan Kaffenberger auf. Der 30-Jährige gilt als ein SPD-Hoffnungsträger, hat er doch in Darmstadt überraschend ein Direktmandat für den Landtag erobert. Chancengleichheit und „Aufstieg durch Bildung“ sind seine Themen, wobei dies nicht zwangsläufig in ein Studium münden müsse. Die SPD setzt er übrigens sehr ortstypisch gleich mit einer Linde und mit einem gehaltvollen Rotwein.
Rede des Vorsitzenden Ulrich Berghof
Guten Abend meine Damen und Herren,liebe Genossinnen liebe Genossen
100 Jahre SPD Geisenheim – Johannisberg ein Grund zum Feiern.
Ich begrüße Sie recht herzlich und freue mich mit Ihnen, mit uns auf zwei drei Stunden guter Unterhalt. Wir haben uns viel Gedanken um die Gestaltung unseres Ehrenjahres gemacht und wollten auch was Besonderes für unsere gemeinsame Feier. Als Ergebnis dieser Bemühungen erwartet Sie heute Abend, hier in der Halle „Für Viele“ ,die ja ein gutes Beispiel für die Gemeinsamkeit von Politik, Kommune und Vereinsleben ist, erstklassige Musik mit Tillmann Höhn an der Gitarre.
Ein Vortrag vom Historiker Walter Hell und als Festredner Bijdan Kaffenberger (Lorena Haak).
Für den Ortsverein sprich Klaus Seifert.
Unser Bürgermeister Christian Aßmann und unser UB Vorsitzende Marius Weis beglücken uns mit Grußworten.
Das Büffet ist vom „Lebensraum“ Für den festlich dekorierten Saal bedanken wir uns bei Bettina Berthold und Anika Berghof. Der Wein ist von der Weihermühle, der Sekt von Graf-Müller und den macht Bardong.
In recht schwierigen Zeiten, nicht nur für die SPD, aber insbesondere für die kommunalpolitische Ebene, die ja geprägt ist von immer sehr überraschenden Meldungen aus Berlin, ist es schön auch zu feiern. Feiern mit der notwendigen Gelassenheit und Ausgelassenheit, aber auch nicht vergessen was uns hier fehlt. Wenn ich mich im Saal umblicke gilt es festzustellen das 3 Personen, die das Bild der Geisenheimer SPD in der Öffentlichkeit jahrelange mitgeprägt haben, fehlen. Zwei wollten unseren solidarischen Weg nicht mehr mit uns gehen.
Meine Damen und Herren ich darf Sie jetzt bitten sich von ihren Plätzen zu erheben.
Knut Schneider hat uns am 10. Oktober 2019 verlassen.
Die Nachricht traf uns plötzlich und überraschend und so ganz ist es ja auch noch nicht zu fassen. Geisenheimer SPD, Geisenheimer Kommunalpolitik ohne ihn ist schwer vorstellbar und doch Realität. Knut war immer präsent, aktiv und hat geholfen, hat Pflichten übernommen und sich nicht weggeduckt wenn die Arbeit verteilt wurde. Kein Termin war ihm zu viel, auch wenn es ihm nicht so gut ging. Dabei war er stets gut vorbereitet und hat seine Meinung zu den vielfältigen Themen kundgetan und vertreten. Knut war dabei in der Sache streitbar, brachte es auch durchaus zum Ausdruck wenn ihm was nicht passte. Nachtragend war er aber nicht und einem normalen Verhältnis stand da nichts im Wege. Große Sorgen hat er sich immer um seine SPD gemacht, die Politik der Bundes SPD in Berlin hat ihm absolut nicht geschmeckt. Knut hat für seine vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten Ehrungen erfahren, dass ihn seine Heimatstadt mit dem Golden Lindenblatt ausgezeichnet erfüllte ihn mit besonderem Stolz.
Die Geisenheimer SPD trauert mit Dir, liebe Edith.
Die Geisenheimer SPD bedankt sich für alles was er für die Partei und Geisenheim getan hat.
Die Geisenheimer SPD wird sein Andenken stets in Ehren halten.
Ruhe in Frieden
Lange haben wir im Vorstand überlegt wenn wir einladen uns ein paar Gedanken über die SPD zu vermitteln, über die Zukunft unser Partei und wie man erfolgreiche Politik betreibt. Vor allem wollten wir was Besonderes.
Dank der Vermittlung von Carsten Sinß ist es uns gelungen Bijan Kaffenberger zu gewinnen. In Zukunft benötigen wir da keine Unterstützung mehr, zieht doch Lorena Haak, die ich auch recht herzlich begrüße nach Geisenheim. Übrigens eine sehr gute Entscheidung. Bijan verkörpert die junge Generation der SPD und er hat unter anderem das besondere Merkmal die Direktwahl zum Landtagsmandat gewonnen zu haben. In schwierigen Zeiten durchaus ein Kriterium das es gilt im Auge zu behalten.
Grußwort von Landrat Frank Kilian
anlässlich der Feier zum 100-jährigen Jubiläum des SPD-Ortsvereines Geisenheim-Johannisberg am Freitag, 22. November 2019, 19.00 Uhr, in der Halle für Viele in Geisenheim-Marienthal, Danziger Straße 16a
Sehr geehrter Herr Vorsitzender Berghof,
sehr geehrter Herr Landtagsabgeordneter Weiß,
liebe Mitglieder des SPD-Ortsvereines Geisenheim-Johannisberg,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich gratuliere dem SPD-Ortsverein Geisenheim-Johannisberg ganz herzlich zu seinem 100-jährigen Jubiläum und wünsche ihm Tatkraft, Courage, einen politischen Instinkt und weiterhin Selbstbewusstsein.
Im Schatten des Ersten Weltkrieges gegründet, Verfolgung und Gewalt am eigenen Leib während der Nazi-Diktatur – und hier nenne ich Gustav Geiger exemplarisch – erfahren, ist die SPD nach 1949 bundesweit zu großen Volkspartei gewachsen. In Geisenheim übernahm sie politische Verantwortung und gestaltete das Gemeinwesen aktiv mit. Nach guten Zeiten folgen auch einmal schlechtere Momente. Vor einigen Jahren geriet der „große Tanker“ SPD insgesamt in ein turbulentes Fahrwasser. Die aufkommende Diskussion um die Zukunft von Volksparteien allgemein sowie die Debatte um einen Verbleib in der Großen Koalition in Berlin nagen am Selbstverständnis der Partei, aber auch an den Prozenten bei Wahlen, wie zuletzt in Thüringen. Wie Wahlerfolge stets Wegebegleiter der SPD waren und sind, so muss die älteste demokratische Partei Deutschlands natürlich auch Niederlagen wegstecken. Das sagt sich sicherlich leichter, wie es sich in der Realität anfühlt.
Aber, und das betone ich ausdrücklich: Wir benötigen die SPD als Partei auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. Das sollte allen Mitgliedern der SPD bewusst sein. Ein offensiveres, selbstbewussteres und geschlossenes Auftreten wäre ein gutes Mittel, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Willy Brandt hat die guten wie die harten Zeiten persönlich miterlebt. Seine Lebenserfahrung gab er immer wieder an die jüngere Generation weiter. So stammt eine Aufforderung von ihm und war ursprünglich am 15. September 1992 an die Delegierten des Kongresses der Sozialistischen Internationale in Berlin gerichtet.
Willy Brandt sagte damals: „Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer. Darum – besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“ Ich bin überzeugt, dass Willy Brandt heute an seine Partei die gleichen Worte richten würde. Es ging ihm damals darum, die Genossinnen und Genossen aufzurütteln, ihnen mitzuteilen, dass sie kämpfen und sich jeden Tag wieder aufs Neue um das Vertrauen der Menschen bemühen müssen … um jeden einzelnen Menschen!
Meine Damen und Herren,
wie nur wenige steht Willy Brandt für diesen nimmermüden Kampf und den persönlichen Einsatz. Er ließ sich nicht verbiegen, nicht während der Nazi-Diktatur, nicht in der Anfangszeit der Bundesrepublik, als er wegen seiner familiären Herkunft übel denunziert wurde. Willy Brandt hatte politische Visionen und sorgte dafür, dass die Bundesrepublik „mehr Demokratie wagte“. Auch seine mutige Ostpolitik öffnete den Eisernen Vorhang und trug sicherlich dazu bei, dass 1989 die Mauer fiel und wir ein Jahr später die Vereinigung feiern konnten.
Meine Damen und Herrn,
Politik aktiv vor Ort zu gestalten, war nie leicht. Es gehört dazu Verantwortung zu übernehmen, auch für unpopuläre Maßnahmen. Die SPD und ihre Mitglieder entschieden sich immer wieder für diese aktive Teilnahme am demokratischen Gemeinwesen. Der Sitz auf der Zuschauertribüne war nie Ihr Ziel. Mitgestalten hieß das Motto. Dies geschah auch in persona ihres frühen Bürgermeisters Manfred Federhen. Knut Schneider war ein wichtiges Gesicht der SPD hier vor Ort. Viele Initiativen stammten von ihm. Er war in unzähligen Vereinen bis zuletzt aktiv tätig und als ständiger Ansprechpartner vernahm er, wo den Bürgerinnen und Bürgern der Schuh drückte. Diese Basisarbeit ist ganz entscheidend und sollte in Geisenheim fortgesetzt werden.
Wir kennen die SPD als die Partei, die sich um die Menschen kümmert. Sie muss auch weiterhin in der Lindenstadt Präsenz zeigen und die politischen Themen aufgreifen. Es gibt sicherlich genug davon. Dann stellen sich auch wieder Wahlerfolge ein. Zeigen Sie dass die SPD für Freiheit und Demokratie, für Mitbestimmung und soziale Gerechtigkeit steht. Weisen Sie auf Ihre Tradition hin und schaffen Sie trotzdem den Sprung in die Moderne mit ihren speziellen Anforderungen an eine politische Partei.
Alles Gute!
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