Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main hat gestern die Beweisaufnahme in dem Prozess zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke nach 39 Verhandlungstagen abgeschlossen, das Urteil wird voraussichtlich im Januar folgen. Das Strafverfahren gegen den Angeklagten Stephan E. und seine mutmaßlichen Helfer neigt sich damit dem Ende zu, doch die politische Aufarbeitung der Tat beginnt erst.
Günter Rudolph, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, zeigte sich am Donnerstag zuversichtlich, dass der Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags (UNA 20/1), der die Hintergründe des Mordes an Dr. Lübcke durchleuchten soll, nun endlich die für seine Arbeit dringend benötigten Akten erhält. Das OLG hatte sich geweigert, die Ermittlungsunterlagen vor dem Ende des Strafprozesses gegen Stephan E. herauszugeben.
Rudolph sagte: „Ich gehe davon aus, dass sich das OLG an seine Zusage hält, die von uns angeforderten Akten nun ohne Zeitverzug dem Untersuchungsausschuss des Landtags zur Verfügung zu stellen. Der Auftrag des Parlaments, das Geschehene politisch aufzuklären, steht nicht hinter dem Auftrag des Oberlandesgerichts zurück, den Mord an Dr. Walter Lübcke juristisch aufzuarbeiten. Ich hatte und habe deswegen wenig Verständnis dafür, dass das OLG die Akten bisher zurückgehalten hat. Im Ergebnis dieses unwürdigen Kräftemessens zwischen der Ersten und der Dritten Staatsgewalt hat sich die Arbeit des UNA 20/1 um Monate verzögert.“
Der SPD-Politiker, der Obmann seiner Fraktion im Untersuchungsausschuss ist, erinnerte daran, dass Hessen seit 2006 der Schauplatz von mindestens zwölf Morden und zwei Mordversuchen mit rechtextremistischem Hintergrund gewesen sei. „Dr. Walter Lübcke war der erste Politiker, der in der Bundesrepublik nach Kriegsende von einem bekennenden und behördenbekannten Rechtsextremisten getötet wurde. Der Auftrag des Untersuchungsausschusses ist es, zu klären, welche Strukturen diese Tat ermöglicht haben, das Ergebnis der Aufklärungsarbeit politisch zu bewerten und Handlungsempfehlungen für die Zukunft zu geben. Das sind wir Dr. Walter Lübcke und den anderen Opfern rechter Gewalt schuldig. Insofern ist es höchste Zeit, dass wir die Gerichtsakten endlich überstellt bekommen und mit unserer Arbeit beginnen können“, so Günter Rudolph.